Havarie vor Wangerooge „Der Gigantismus muss aufhören“

Die Mumbai Maersk ist 400 Meter lang – und steckte bis Freitagmorgen vor Wangerooge fest. Quelle: dpa

Die in der Nordsee auf Grund gelaufene „Mumbai Maersk“ hat wieder freie Fahrt. Gerd-Christian Wagner von der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste erkennt hinter dem Unglück aber ein grundsätzliches Problem.

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Der 400 Meter langer Containerriese „Mumbai Maersk“ ist im Wattenmeer der Nordsee auf Grund gelaufen. Immerhin: Mit starken Schleppern haben Bergungsteams mittlerweile freischleppen können. Das teilte das Havariekommando in Cuxhaven direkt nach der Bergungsaktion in der Nacht zum Freitag mit. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt solle der Container-Riese nach Bremerhaven gebracht werden. Für Gerd-Christian Wagner von der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste war das Unglück nur ein Beispiel für einen gefährlichen Trend in der Schifffahrt.

WirtschaftsWoche: Herr Wagner, seit Mittwochabend saß die Mumbai Maersk vor Wangerooge fest
Gerd-Christian Wagner: Ja, das beobachten wir sehr genau. Erst vor drei Wochen habe ich gesagt: Was bedeutet es, wenn vor unserer Küste mal eine Havarie passiert? Und jetzt sind wir genau in der Situation, das war ja schon fast prophetenhaft, da bekommt man Angst vor seinen eigenen Worten.

Wovor genau haben Sie Angst?
Eine Havarie bedeutet immer ein Risiko, ein Schiff kann auch mal auseinanderbrechen. Was das bedeuten würde, das will man sich ja gar nicht ausmalen. Wir sind deshalb auch mit Havariekommando und der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung im Austausch, die machen eine sehr gute Arbeit. Das heißt, wir haben hier in Deutschland eine gute Basis, wir wissen, was bei einer Havarie zu tun ist. Das Problem ist, dass diese Maßnahmen alle nur reaktiv ist. Wir müssen das proaktiv angehen.

Die Mumbai Maersk hat eine Kapazität von rund 20.000 Standardcontainern. Es fahren aber auch schon Schiffe mit einer Kapazität von 24.000 Standardcontainern, und auch 30.000 Standardcontainer wären rein theoretisch möglich. Ein Problem?
Der Gigantismus muss aufhören. Die Größe der Containerschiffe ist in den vergangenen Jahrzehnten schon fast exponentiell angewachsen. Das finde ich sehr, sehr befremdlich. Dieser Unfall zeigt sehr deutlich, dass wir endlich aufhören müssen, so große Schiffe zu bauen, die dann nicht mehr beherrschbar sind. Mein Stellvertreter beim Schutzverbund ist Elblotse, der hat die Erfahrung mit solchen Schiffen, der kann bestätigen, dass das immer wieder zu Schwierigkeiten führt. Wir wollen dazu auch ein Symposium veranstalten, wenn das irgendwann mal wieder möglich ist.

Gerd-Christian Wagner von der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste fordert Maßnahmen gegen die Ozeanriesen. Quelle: PR

Die Reedereien verweisen darauf, dass es so wenige Schiffsunfälle gibt wie nie zuvor und dass moderne Schiffe sicherer sind, auch wenn diese groß sind.
Das ist auch eine Frage der Relationen. Wenn dann doch ein Megaschiff havariert, dann haben wir dafür dann auch direkt einen Megaunfall. Schauen Sie sich die Historie an, es kommt immer wieder zu Havarien. Und die meisten Probleme werden öffentlich ja gar nicht bekannt. Wie häufig fällt mal für eine halbe Stunde ein Ruder aus? Wenn es dann wieder funktioniert, wischt sich die Mannschaft die Schweißperlen von der Stirn und das war es dann. Dass es vielleicht dann beinahe zu einer Ölpest oder so gekommen wäre, wird ja im Nachhinein nicht bekannt.

Sie sind Bürgermeister von Varel, das liegt hinter Wilhelmshaven im Jadebusen – also weit weg von den Fahrrinnen der Megafrachter. Wieso macht Sie das so betroffen?
Varel ist das größte Mittelzentrum des Landkreises Friesland. Und dazu gehört auch Wangerooge. Viele Menschen leben hier vom Tourismus, das ist eine der wichtigsten Einnahmequellen hier. Wir sind Weltnaturerbe. Sollte hier wirklich mal was passieren, sollte es mal zu einer Ölpest kommen, dann wäre das eine Vernichtung des Tourismus auf Jahrzehnte. Und den Titel Weltnaturerbe könnten wir uns gleich sonst wohin kleben.

Vor drei Jahren war es die MSC Zoe, die in der Nordsee in einen Sturm geriet und über 340 Container verlor.
Damals sind Tonnen von Müll in Borkum und Wangerooge angeschwemmt worden, bei uns im Jadebusen Gott sei Dank nicht. Aber es tauchen immer noch Teile der Kisten auf. Wir haben die Risiken damals angesprochen, oft weiß man ja gar nicht genau, was in den Containern drin ist. Man müsste Container häufiger kontrollieren, man könnte die mit Sensoren ausstatten und auf Erschütterungen und Schwankungen achten, wir haben ein ganzes Paket an Forderungen, das beruht auf Untersuchungsergebnissen der BSU, wie man Ladung sicherer machen kann. Aber getan hat sich wenig, auch von Seiten der Bundesregierung.

In den Niederlanden hat nach dem Unglück des MSC Zoe eine Sonderkommission die Empfehlung ausgesprochen, küstennahe Fahrtwege zu sperren. Doch laut niederländischer Regierung gab es dafür keine Unterstützung aus Dänemark und Deutschland.
Schlussendlich zählt eben der Profit. Und wenn der Fahrtweg kürzer ist, ist er auch profitabler. Aber wir wissen alle, dass es kritisch sein kann, wenn so große Schiffe so nah an der Küste vorbeifahren. Das sind kleine Granaten, die da durch die Landschaft fahren.

Ihre Nachbarstadt ist Wilhelmshaven, würden ihre Kollegen dort das genauso sehen?
Da müssen Sie meinen Kollegen in Wilhelmshaven fragen. Aber natürlich, Wilhelmshaven hat den Tiefwasserhafen, die freuen sich über die entsprechenden Container. Das ist ja auch kein Problem – solange die Schiffe geeignete Fahrtrouten nehmen.

Wenn man bestimmte Fahrtrouten sperrt, könnte das auch wirtschaftliche Folgen haben. Der Hamburger Hafen fällt schon heute hinter die Konkurrenten wie Antwerpen und Rotterdam zurück, dort wächst der Umschlag stärker.
Der Hamburger Hafen wird immer seine Berechtigung haben. Aber unsere Forderung wäre ein Hafenverbund, der die Risiken der Großschiffe berücksichtigt. Dann sollen die großen Schiffe doch die Tiefwasserhäfen anfahren und die Ladung wird dann mit kleineren Feederschiffen verteilt. Das bedeutet doch auch, dass der Standort des Hamburger Hafens am Leben gehalten wird. Das Ausbaggern der Elbe ist endlich. Da muss man mal in die Glaskugel gucken: Was ist denn in 20 oder 25 Jahren, wenn die Reeder in die nächste Liga steigen, wenn die Schiffe noch größer werden? Irgendwann werden diese Schiffe auch Hamburg nicht mehr anfahren.

Mehr zum Thema: Containerschiffe werden länger und breiter. Das birgt Gefahren. Und bringt Häfen an ihre Grenzen. Nach den Havarien vor Wangerooge und im Suezkanal könnte der Widerstand gegen die Ozeanriesen weiter wachsen.

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