Fachkräftemangel und Inflation Studenten retten Handel und Gastro die Weihnachtszeit – und sich selbst

Studierende retten die Gastro durch die frequentierte Weihnachtszeit und haben das Geld dringend nötig. Quelle: imago images

Ohne Studenten als Jobber könnten viele Händler und Gastrobetriebe die Weihnachtszeit nicht stemmen. Und die brauchen das Geld mehr denn je. Eine Studentin, ein Marktleiter und ein Vermittler berichten.

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Sie arbeiten an der Imbissbude, schenken Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt aus und verteilen Schnäppchenangebote vor Galeria Karstadt Kaufhof. Ohne die Millionen Studentinnen und Studenten in Deutschland, die in der für die Gastronomie und den Handel so wichtigen Weihnachtszeit einpacken, ausschenken und anrichten, sähe es in Schaufenstern und an Ständen düster aus. Sie sind als saisonale, flexibel einsetzbare Arbeitskräfte unersetzlich – und brauchen diese Jobs selbst mehr denn je.

Denn die Kostensteigerungen für Essen, Wohnen und Leben machen ihnen zu schaffen. Sieben Prozent der Studierenden in Deutschland und damit 200.000 Personen haben ihr Studium im Wintersemester 2022/23 aufgrund wirtschaftlicher Zwänge unterbrochen oder ganz aufgegeben. Das geht aus der Langzeitstudie „Fachkraft 2030“ der Universität Maastricht und des Arbeitsvermittlers Jobvalley hervor. 36 Prozent der Befragten sahen sich gezwungen, mehr zu arbeiten.

Der Bafög-Höchstsatz von 930 Euro sei angesichts der teuren Mieten und der Inflation „kein Mittel mehr, das hilft“, sagt Jobvalley-Geschäftsführer Clemens Weitz. Die Bearbeitung der Bafög-Anträge dauert zudem oft mehrere Monate, in denen manche praktisch gar kein Geld haben. Und die Kredite der Förderbank KfW sind aufgrund der hohen Zinsen in die Kritik geraten.



Studierende sollten sich, so Weitz, eigentlich aufs Studium konzentrieren und weniger mit ihrem Auskommen beschäftigen müssen. Aber ihm und Jobvalley kommt das große Angebot an jungen Menschen, die einen Job brauchen, geschäftlich zugute. Genauso wie die Nachfrage, denn Betriebe suchen gerade jetzt in der Weihnachtszeit.

Jobvalley verbindet die Suchenden über seine Plattform. Das Unternehmen arbeitet mit Ketten wie Zara, Galeria Karstadt Kaufhof, Media Markt oder Le Crobag zusammen. Weitz: „Die sagen zu uns: ‚Wir haben nächste Woche ein Problem. Könnt ihr uns helfen?“ Erst kürzlich bat ihn eine Bäckerei-Filiale am Stuttgarter Hauptbahnhof übers Wochenende um Personal, um am Montag überhaupt öffnen zu können. Die Appnutzer von der Uni können sich kurzfristig für einen Job eintragen, manchmal vergehen nur wenige Stunden, bis es losgeht.

Durchschnittlicher Stundenlohn: 13,91 Euro

Weitz macht eine einfache Rechnung auf, die den Stellenwert der studentischen Arbeiter für die Wirtschaft aufzeigen soll. 60 Prozent der drei Millionen Studenten in Deutschland arbeiten aktuell, also 1,8 Millionen. „Das entspricht vier Prozent der arbeitenden Gesamtbevölkerung – ist also wirklich relevant.“

Gerade im Einzelhandel stellt Weitz einen spürbaren Anstieg an Einsätzen fest, um elf Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat November. Im Einzelhandel bekommen die Studierenden in der Weihnachtszeit seinen Angaben zufolge auf 14 Euro pro Stunde, im Logistikbereich 14,46 Euro und in der Gastronomie 14,50 Euro. Der durchschnittliche Jobvalley-Stundenlohn im Gesamtjahr liegt bei 13,91 Euro.

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Die Schwestern Aylin, 22, und Selin, 24, Kasapoglu stehen im Lager des Großmarkts Handelshof in Köln und packen Geschenke. Ganz allein. Sie können ihre Musik hören, niemand stört. Ihre Aufgabe: Körbe mit Köstlichkeiten bestücken und binden, die Kunden dann zu Weihnachten verschenken. Für 13 Euro Stundenlohn. Fünf verschiedene Körbe gibt es, etwa den italienischen und den kölschen. Sie kosten zwischen 20 und 60 Euro. Seit Mitte November sind die Kasapoglus im Einsatz, geschickt von Jobvalley.

Betriebsleiter Tahir Servan ist zufrieden mit den beiden. Es ist bereits ihr zweites Jahr an den Geschenkkörben. „Sie machen Verbesserungsvorschläge, haben eigene Ideen“, sagt Servan. „Wenn sich ein Korb nicht verkauft, merken sie das und schlagen eine Alternative vor.“

Aylin Kasapoglu hat noch einen zweiten längerfristigen Job als Werkstudentin im Rechnungswesen bei Rewe, den sie auch über Jobvalley bekommen hat. Sie knüpft damit auch Kontakte, die ihr für den Start ins Berufsleben helfen können. Sie studiert im sechsten Semester Finanz- und Versicherungsmathematik an der Uni Düsseldorf. Ihre Masterarbeit könnte sie bei Rewe schreiben, überlegt sie. Gute Voraussetzungen. Einen gewissen Druck, „was aus uns wird und auf eigenen Beinen zu stehen“, verspüre sie dennoch.

Die Studentinnen Aylin und Selin Kasapoglu im Lager des Handelshofs.

Die Schwestern wohnen noch zu Hause, sparen Mietausgaben. Mit ihrem Lohn zahlen sie die Semestergebühren und schaffen Rücklagen. In ruhigeren Monaten sind es 200 Euro, in Semesterferien springen auch mal 1400 Euro heraus, erzählt Aylin Kasapoglu.

Ein Shuttle für Hilfskräfte im Europapark

Für Kölner Verhältnisse liegt der Handelshof recht weit außerhalb im Osten der Stadt. Andere Betriebe haben jedoch viel größere Anbindungsprobleme. Zum Teil müssen sie aufgrund ihrer Lage kreativ werden. Der Europapark Rust ist für Achterbahnfans ein beliebtes Ziel, für Studenten ohne Auto aber kaum erreichbar. Weil der Europapark „riesengroße Probleme hat, flexibles Personal zu finden“, organisiert er für die Jobvalley-Kandidaten einen Shuttleservice von Freiburg aus, erzählt Clemens Weitz. „Sie geben lieber mehr Geld für den Transport aus, als einen Stand nicht besetzen zu können.“

Tahir Servan beschäftigt normalerweise zwei bis vier Studenten gleichzeitig, jetzt, in der Weihnachtszeit sind es bis zu sieben. Er sucht Wagenschieber, Hilfskräfte, die Regale befüllen, bis hin zu Leuten, die Büroarbeiten am PC erledigen. Servan arbeitet etwa auch mit dem Dienstleister Persona zusammen. Dabei könne er sich aber nicht sicher sein, „was für eine Qualifikation die Person hat, ob sie Deutsch, lesen und schreiben kann“, sagt Servan, der seit 33 Jahren für den Handelshof, heute eine Tochter von Edeka, arbeitet.

Bei den Studenten sollten zumindest diese drei Dinge gegeben sein. Der Nachteil: „Studenten haben selten viel Zeit.“ Manchmal stünden sie nur eine Woche zur Verfügung, selten einen ganzen Monat. Und zuverlässiger seien sie nicht unbedingt. „Einer sagt nach zwei Stunden, der Job ist nichts für ihn, ein anderer hat einen wichtigen Termin verschwitzt.“

Ihren Arbeitsvertrag schließen die Hilfskräfte mit Jobvalley oder Persona ab. Die nehmen laut Servan 26 bis 28 Euro pro Stunde. Davon gehen zwischen 14 und 15 Euro an die Studenten. Das ist mehr als der Mindestlohn in Deutschland, der zum 1. Januar auf 12,41 Euro steigt. Talente mit einem Fachhintergrund in Industriesektoren bekommen laut Weitz auch mal 18 bis 20 Euro, wenn sie Anlagen und Maschinen überprüfen.

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Servan hat einen direkten Ansprechpartner bei Jobvalley, eine Kollegin von Weitz. Ein Anruf mit seinen Wünschen, und das Unternehmen kümmert sich. Das heißt aber nicht, dass der Betriebsleiter immer zufriedengestellt wird. „Manchmal bestelle ich drei und es kommt einer oder gar keiner.“ Dann muss er weitersuchen.

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