Wirecard-Untersuchungsausschuss Der Club der (fast) ahnungslosen Banker

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Wie gut kennen die Banken ihre Kunden?

Die Banken wollen Wirecard noch mehr Geld leihen, die BayernLB könnte ihren Kredit auf 150 Millionen Euro aufstocken. Aber die Konditionen sind andere als zwei Jahre zuvor. Statt fünf Jahre soll das Darlehen nun sieben Jahre laufen, statt eines konkreten Verwendungszweckes wissen die Banken nur grob, wofür Wirecard das Geld verwenden will. Zudem soll den Wirecard-Töchtern erlaubt sein, sich zusätzlich zur Konzernmutter Geld zu leihen. All das könne man machen, aber nur, „wenn wir den Kunden sehr, sehr gut kennen“, sagte Kramer am Donnerstag im Untersuchungsausschuss.

Die BayernLB prüft Wirecard damals – und findet zahlreiche kritische Punkte. Das Geschäftsmodell sei recht anfällig für „IT- und Compliance-Risiken“ gewesen. Die Bilanz habe zwar solide ausgesehen, das Eigenkapital sei hoch und die Verschuldung niedrig gewesen. Aber: Das Eigenkapital habe in schwer zu bewertenden immateriellen Vermögenswerten gesteckt, das habe zu Schwankungen führen können.

Zudem sei die Konzernstruktur komplex gewesen, es sei immer wieder schwierig gewesen, die einzelnen Jahreszahlen miteinander zu vergleichen – und Wirecard habe doch so oft in der Presse gestanden. „Wir haben lieber einen Kunden, bei dem das nicht so ist“, sagte Kramer vor dem Untersuchungsausschuss. Er habe nie verstanden, warum Wirecard „unheimlich hohe Margen“ gehabt habe, während entsprechende „Risikokosten“ nicht angefallen seien. Obendrein habe der Zahlungsdienstleister Kundenstämme gekauft und sie über 25 Jahre oder gar nicht abschreiben wollen. „Das ist ökonomisch schwer verständlich“, so Risikovorstand Kramer.

Die BayernLB habe mit Wirecard gesprochen: Die Bank „habe Fragen gestellt, nä, aber einige Antworten haben neue Fragen aufgeworfen, nä“, erinnerte sich Kramer. „Wenn man einen Kunden nur zwei Jahre kennt, nä, dann passt das nicht“, sagt er – und betont später noch mal: „Die hohe Marge, nä, habe ich genannt“, erklärte er.

Wieso haben die anderen Banken nicht das gesehen, was die BayernLB bemerkt hat?

Nach Kramer trat neben dem früheren Commerzbank-Chef Martin Zielke und dem Deutsche-Bank-Boss Christian Sewing auch Marcus Chromik vor den Ausschuss in Saal 9400. Der Mann mit dem blauen Jacket und der blau gestreiften Krawatte ist der Risikovorstand der Commerzbank, an der der Staat seit der Finanzkrise mehr als 15 Prozent der Anteile hält. Chromik zeigt beinahe beispielhaft die Argumentation derjenigen, die Wirecard lange treu geblieben sind.

Chromiks Bank spielt im Wirecard-Skandal eine besonders unglückliche Rolle: Lange Jahre ergriff die Commerzbank-Analystin Heike Pauls für Wirecard Partei und verteidigte den Konzern gegen jede Kritik. Jetzt hat die Bank ihre Mitarbeiterin offenbar kaltgestellt, wie der Spiegel am Donnerstag berichtete. Zudem war die Commerzbank Anführerin des Bankenkonsortiums, das Wirecard noch im Herbst 2019 frisches Geld lieh, gleich mehrere hundert Millionen Euro.

Commerzbank-Risikovorstand Chromik erklärte vor dem Ausschuss: Seine Bank sei „Opfer eines unvorstellbaren Betrugs geworden“, er hätte das so „nicht für möglich gehalten“. Sein Institut habe aber „extrem sorgfältig“ gearbeitet, das Engagement beim Zahlungsdienstleister sei damals „voll zu rechtfertigen“ gewesen. Von den Abgeordneten auf eine gewisse kritische Bilanzposition Wirecards angesprochen, sagte er: Dafür sei der Wirtschaftsprüfer verantwortlich. Das stimmt. Einerseits.

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Selbst der BayernLB-Vorstand Kramer hatte vor dem Commerzbank-Mann zu Protokoll gegeben, seine Bank habe nie an Betrug geglaubt. Auch er verlasse sich auf die Testate von Wirtschaftsprüfern, bei Wirecard etwa hatte EY die Zahlen testiert. Andererseits: Die Schilderungen des BayernLB-Vorstandes zeigen, wie leicht es gewesen wäre, Zweifel zu haben und kein Geld zu versenken – ohne den Betrug gleich aufzudecken.

Es reicht, nur lange genug nachzufragen – und sich abzuwenden, wenn die Antworten nicht überzeugen. Wer die Dinge nicht versteht, sollte sich besser nicht engagieren, so einfach ist das.

Eine der letzten Fragen an den BayernLB-Vorstand Kramer stellte der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi: Ob die Finanzaufsicht Bafin nicht auch die kritischen Punkte hätte entdecken müssen? Die Behörde ist wegen ihres Versagens in der Causa Wirecard längst unter Druck gekommen, Medien und Politik haben bereits mehrfach den Rücktritt von Bafin-Präsident Felix Hufeld gefordert.

BayernLB-Banker Kramer wollte nicht so richtig antworten, er sagte nur: „Die Dinge sind kompliziert genug, ist wirklich alles kompliziert genug“.

Ja, manchmal sind die Dinge auch kompliziert. Immerhin hat Kramer sie ein bisschen einfacher gemacht. Nä!

Mehr zum Thema: Unser Autorenteam recherchiert seit Jahren zu Wirecard – und beschreibt hier, wie es den Absturz des Dax-Konzerns erlebt hat.

Mit Material von dpa und Reuters

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