Wasserstoff: „Wir stochern ein wenig im Nebel“

Ein Elektrolyseur des deutschen Herstellers Sunfire: Wann zieht die Nachfrage an?
Die schlechten Nachrichten häufen sich in der Wasserstoffbranche: Norwegen hat den Bau einer Pipeline nach Deutschland abgesagt. ThyssenKrupp zögert plötzlich, sein Duisburger Stahlwerk auf das saubere Gas umzustellen. Der spanische Energiekonzern Repsol pausiert seine spanischen Wasserstoffprojekte.
Die Absagen machen einer Branche zu schaffen, ohne die die grüne Wasserstoffwende nicht möglich wäre: Es leiden die Hersteller von Elektrolyseuren, den Maschinen, die das saubere Gas aus Strom herstellen. Vor drei Jahren waren sie Stars an der Börse und bei Politikern, die zur Eröffnung neuer Elektrolyseur-Fabriken pilgerten. Wasserstoff wurde als ein Schlüsselelement für die weltweite Energiewende gefeiert.
Heute sind die Kurse im Keller, die Euphorie verflogen. Ende September traf es Nel Hydrogen: Ein Kunde des norwegischen Herstellers von Elektrolyseuren stornierte eine Reservierung über ein Gigawatt, die die Fabrik von Nel etwa ein Jahr lang ausgelastet hätte. Wenig später die Nachricht von McPhy aus Frankreich: Ein Auftrag über 24 Megawatt sei zurückgezogen worden – nur eine Woche, nachdem McPhy ihn bekannt gegeben hatte.
Dabei hat sich an der grundlegenden Bedeutung des Energieträgers aus Sicht vieler Experten wenig geändert. „Wasserstoff ist das Missing Link der Energietransformation“, sagt Luc Poyer, Chairman des Verwaltungsrats bei McPhy. „Das Paradoxe ist, dass diese Analyse heute noch stärker fundiert ist als vor ein paar Jahren.“ Ammoniak für Düngemittel, sauberer Treibstoff für Flugzeuge: Das alles lasse sich ohne Wasserstoff nicht dekarbonisieren.
An Ankündigungen mangelt es nicht: 520 Gigawatt an Wasserstoffprojekten sind laut der Internationalen Energieagentur IEA weltweit angedacht. Entsprechend melden die Elektrolyseur-Hersteller viele Gigawatt an Anfragen oder für potenzielle Aufträge. Doch zur Bestellung kam es bisher seltener als erhofft.
„Bei vielen Wasserstoffprojekten kommt die finale Investmententscheidung langsamer als erwartet“, sagt McPhy-Chairman Poyer. Schwer einzuschätzen, wie der Markt sich entwickelt: „Wir stochern momentan ein wenig im Nebel“, räumt Poyer ein.
Und so gibt es aktuell deutliche Überkapazitäten: Die weltweite Fertigungskapazität für Elektrolyseure hat sich im vergangenen Jahr auf 25 Gigawatt verdoppelt, so die IEA in ihrer jüngsten Wasserstoff-Studie: „Diese Kapazität ist aber massiv unausgelastet mit nur 2,5 Gigawatt Output im Jahr 2023.“
Nils Aldag, Chef des deutschen Elektrolyseur-Herstellers Sunfire, erwartet schon eine Konsolidierung in der Elektrolysebranche, vor allem unter chinesischen Herstellern, wie das Online-Magazin Hydrogen Insight berichtet. Es werde zu Pleiten und Übernahmen kommen.
Zu hohe Erwartungen
„Die letzten Jahre waren geprägt von überzogenen Erwartungen“, heißt es bei Sunfire. „Europa hat sich ambitionierte Ziele gesetzt, aber unterschätzt, wie komplex es ist, einen völlig neuen Markt aufzubauen.“ Bei Windkraft und Solarenergie habe es mehr als 20 Jahre gedauert, in Größenordnungen vorzustoßen, die beim Wasserstoff bereits 2030 erreicht werden sollen.
Auch die unklare Regulierung hat die Branche ausgebremst. In den USA wurde zwar eine viel gepriesene Förderung mit dem Inflation Reduction Act beschlossen – doch mehr als zwei Jahre später stehen die Details der Förderregeln immer noch nicht fest.
Ähnlich das Tempo in Europa. Die nationale Umsetzung EU-weiter Instrumente wie der RED-III-Verordnung sei wichtig, sie gehe aber nur schleppend voran, heißt es bei Sunfire. „Für den langfristigen Erfolg wird entscheidend sein, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen konsequent umgesetzt werden.“ Den Unternehmen müsse jetzt Planungssicherheit gegeben werden.
Nächste Hürde: Gas und Öl sind verhältnismäßig billig, grüner Wasserstoff aber immer noch sehr teuer. Die Inflation der vergangenen Jahre hat zusätzlich die Produktion von Elektrolyseuren verteuert. Seit dem Jahr 2021 sind die Kosten für die Anlagen um 20 bis 45 Prozent gestiegen, heißt es in einer Analyse des Finanzanalysehauses S+P Global. Bis zum Jahr 2030 seien nur noch Kostensenkungen von 15 bis 30 Prozent zu erwarten.
„Wir haben gehofft, die Kosten für Elektrolyseure ähnlich schnell senken zu können, wie in der Vergangenheit Solarmodule preiswerter geworden sind“, sagt McPhy-Chairman Poyer. „Das ist leider nicht eingetreten.“
Ist das Ende der Durststrecke erreicht?
Das hat auch mit dem langsamen Hochlauf der Branche zu tun. Denn je besser die neuen Fabriken ausgelastet sind, desto eher können die Kosten durch Skaleneffekte sinken. In der EU aber hängt die Branche weit hinter den gesteckten Zielen zurück. Nicht einmal zwei Prozent der geplanten Wasserstoff-Produktionskapazitäten für das Jahr 2030 hätten den Planungsstand überschritten, schreiben die Autoren einer Studie der Boston Consulting Group (BCG).
Europa drohe, seine Wettbewerbsvorteile bei grünem Wasserstoff einzubüßen, warnen die BCG-Experten. Ausländische Anbieter könnten die europäische Wasserstoffindustrie schon in drei bis fünf Jahren bei Kosten, Qualität und Leistung übertreffen.
Vor allem aus China droht harte Konkurrenz von Elekrolyseur-Herstellern – dort werden aktuell auch die meisten Wasserstoffprojekte gebaut: Laut IEA könnte 70 Prozent des weltweiten Zubaus dieses Jahr in China erfolgen.
Wichtig sei deshalb, sich technologisch von der Konkurrenz abzusetzen, so die BCG-Studie. McPhy-Chairman Poyer sieht das ähnlich: „Gewinner werden die sein, die mit sehr guter Technologie aufwarten können.“ Ähnlich wie in der Petrochemie gehe es beim Wasserstoff darum, komplizierte Prozesse zu beherrschen. In einigen Anwendungen komme es etwa daraufhin, dass Elektrolyseure besonders zuverlässig und ohne Unterbrechung Wasserstoff produzierten.
Der norwegische Hersteller Nel Hydrogen hat am Dienstag immerhin reichlich Mittel bekommen, um eine neue Generation von Elektrolyseuren reif für die Massenfertigung zu machen, die deutlich preiswerter sein soll als die heutigen Anlagen: 135 Millionen Euro an Forschungsförderung hat der EU Innovation Fund dem Unternehmen dafür bereitgestellt.
Auch hat die EU europäischen Herstellern nun Schutz vor chinesischer Billigkonkurrenz versprochen: Bei der nächsten Auktion der europäischen Hydrogen Bank, die Wasserstoffprojekte unterstützt, dürfen maximal 25 Prozent der Elektrolyseur-Stacks aus China stammen.
Wann aber zieht das Geschäft wirklich an? Immerhin hat es diesen Sommer rund ein Gigawatt an Elektrolyse-Projekten in Europa zu einer Finanzierung geschafft. Und so sehen die Hersteller langsam Licht am Ende des Tunnels.
„Der Markt für grünen Wasserstoff gewinnt in Europa an Tempo und bewegt sich von reinen Ankündigungen zu konkreten Investitionen“, heißt es bei Sunfire. „Insgesamt sehen wir nun eine realistische und stabile Entwicklung.“
Beim britischen Elektrolyseur-Hersteller ITM Power wuchs der Umfang an möglichen Projekten, die das Unternehmen prüft, in den vergangenen 18 Monaten gar um das 25-fache. „Ich habe persönlich in meiner Karriere noch nie eine Sales-Pipeline so schnell wachsen sehen“, sagte CEO Dennis Schulz bei einer Investorenpräsentation im August. Über kurz oder lang werde sich das in massive Bestellungen übersetzen.
Optimistisch zeigt sich auch Arturo Gonzalo, CEO des spanischen Gasnetzbetreibers Enagás. Die aktuellen Absagen von Wasserstoffprojekten seien ein „zeitweiliger Effekt“ und würden das EU-Ziel von zehn Millionen Tonnen Wasserstoffproduktion im Jahr 2030 nicht beeinträchtigen, wird Gonzalo im Magazin „Hydrogen Insight“ zitiert.
Grund für die Stornierungen der vergangenen Monate sei die hohe Inflation, die sich nun aber abschwäche. Ab dem Jahr 2026 werde dann die EU die freie Zuteilung von CO2-Emissionsrechten zurückfahren, womit Wasserstoff aus Erdgas, so genannter grauer Wasserstoff, teurer werde. Bis zum Jahr 2030, so Gonzalez, könne grüner Wasserstoff mit grauem Wasserstoff wettbewerbsfähig werden.
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