Beamtenbund-Chef Silberbach „Das neue Bürgergeld hat eine Schieflage erzeugt“

Führt den dbb seit 2017: Ulrich Silberbach. Quelle: dpa

Am vergangenen Dienstag startete die Tarifrunde für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach sprach im Vorfeld über die Strategie der Gewerkschaften – und seine Vorschläge zur Finanzierung zweistellig steigender Lohnkosten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

WirtschaftsWoche: Herr Silberbach, Beamtenbund und Verdi fordern in der anstehenden Tarifrunde 10,5 Prozent mehr Geld – das hat sich noch nicht mal die IG Metall getraut. Wie begründen Sie eine so hohe Lohnforderung?
Ulrich Silberbach: Ohne eine massive Lohnsteigerung wird der Personalmangel im öffentlichen Dienst eskalieren. Es fehlen uns bereits heute rund 360.000 Fachkräfte. Und in den kommenden zehn Jahren gehen 1,3 Millionen Beschäftigte in den Ruhestand. Da müssen wir gegensteuern. In der Industrie, mit der wir um Fachkräfte konkurrieren, sind die Gehälter immer noch höher. Und es geht nicht mehr nur um Spitzenkräfte, sondern auch um Menschen in den unteren Lohngruppen. Hier hat das neue Bürgergeld eine Schieflage erzeugt.

Was meinen Sie damit?
Wir hören immer häufiger, dass sich Kolleginnen und Kollegen fragen, ob sich das Arbeiten für den Staat noch lohnt, wenn nur 300 oder 400 Euro mehr übrig bleiben als beim Bezug von Bürgergeld. In den unteren Entgeltgruppen im Beamtenbereich, etwa in A3, fangen die Leute bei 2000 Euro an.

Nach Aussage des Verbands Kommunaler Unternehmen würde der von Ihnen geforderte Lohnanstieg die Kommunen pro Jahr über 15 Milliarden Euro kosten. Wo soll das Geld herkommen?
Gegenfrage: Wo sind die vielen Milliarden hergekommen, die wir in den vergangenen Jahren in all die Rettungsschirme und Corona-Hilfsprogramme gesteckt haben? Wo kommen die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr her? Oder die 200 Milliarden Euro für die Energiepreisdeckel?  Das sind 15 oder 16 Milliarden doch wohl kein Weltuntergang.

Zur Person

Die Stadtkämmerer des Landes dürften mit dieser Argumentation wenig anfangen können. Sie können steigende Kosten oft nur auf drei Wegen kompensieren: höhere Schulden, höhere Gebühren für die Bürger oder die Privatisierung von Leistungen. Was wäre Ihnen am liebsten?
Die letzte Option wäre sicher die unschönste, die beiden anderen sind ein gangbarer Weg. Außerdem muss generell über die Finanzausstattung der Kommunen geredet werden, vor allem mit den Ländern. Um die höheren Entgelte zu finanzieren, muss der Staat aber notfalls Kredite aufnehmen oder die Gebühren für kommunale Dienstleistungen erhöhen. Die Leute wollen von ihrer Kommune zeitnahe und verlässliche Leistungen, anstatt viel Lebenszeit in Wartehallen zu vertrödeln oder monatelang auf einen Termin warten zu müssen. Wenn durch höhere Einkommen mehr Personal akquiriert werden kann, verbessert sich auch die Qualität des kommunalen Angebots.

Rechnen Sie mit einem Streik?
Im Vorfeld einer Tarifrunde sollte man bei dieser Frage zurückhaltend sein. Bislang haben wir mit den Arbeitgebern drei Verhandlungstermine vereinbart, und die warten wir erstmal ab. Allerdings lassen die bisherigen Aussagen der Arbeitgeber befürchten, dass es keine besonders lustige Tarifrunde wird. Wenn sich Bund und Kommunen nicht bewegen, könnte es sehr bald erste Warnstreiks geben.

Wo denn? 
Die Gewerkschaften haben traditionell ein hohes Streikpotenzial im Nahverkehr, aber auch bei Erzieherinnen und Erziehern. In beiden Bereichen würden Streikmaßnahmen sicher großen politischen Druck erzeugen.  

Mit übermäßiger Sympathie der Menschen sollten Sie dann aber nicht rechnen.
Das ist das Dilemma, vor dem wir im öffentlichen Dienst immer stehen. Es macht keinen Spaß, Bürgerinnen und Bürgern den Alltag zu erschweren. Die Crux ist, dass die Politik Streikaktionen ein Stück weit braucht, damit sie nach innen kommunizieren kann: Wir müssen den Gewerkschaften entgegen kommen. Es hat in den vergangenen Jahren keine einzige Tarifrunde gegeben, in der wir nicht mit Streikaktionen politischen Druck aufbauen mussten. Ich hoffe darauf, dass der Kanzler ein Machtwort spricht, sollte sich das Finanzministerium querstellen.

Pochen Sie darauf, dass der Tarifabschluss auch auf die Beamten übertragen wird – oder sind Sie mit Blick auf die Haushaltslage zu einer zeitlichen Streckung bereit?
Nein. Die vollständige Übertragung ist nicht verhandelbar, der Tarifabschluss muss zeit- und inhaltsgleich übernommen werden. Zumal die Alimentation der Beamtinnen und Beamten ja gerade ohnehin eine Riesenbaustelle ist und vom Bundesverfassungsgericht als nicht verfassungskonform bewertet wird.

Die IG Metall hat jüngst mit über 8,5 Prozent abgeschlossen, aber für 24 Monate. Ist der Deal „hohe Prozentzahl, lange Laufzeit“ auch ein Modell für den öffentlichen Dienst?
Ich schließe keine Option und kein Denkmodell aus. Die Laufzeit ist bei jeder Tarifrunde im Werkzeugkasten der Tarifpartner enthalten. Tarifpolitik ist immer ein Gemischtwarenladen. Sorge habe ich allerdings, dass die Arbeitgeber mit irgendwelchen neuen Gegenforderungen um die Ecke kommen. Das würde die Lage verschärfen.

Spitzengehälter sind im öffentlichen Dienst die Ausnahme. Aber der Direkteinstieg in hohe Besoldungsgruppen kann gelingen. Wenngleich diese Eingruppierung auch Nachteile hat.
von Nina Jerzy

Die Gewerkschaften fordern nicht nur 10,5 Prozent mehr Geld, sondern auch eine Mindestanhebung von 500 Euro. Ist es nicht kontraproduktiv, die Löhne für einfache Tätigkeiten prozentual stärker anzuheben als beim knappen Top-Personal? Müsste die Lohnspreizung nicht vielmehr steigen, um Ingenieure, Ärzte und IT-Experten anzulocken?
Nein. Wir brauchen beide Gruppen. Es fehlen im öffentlichen Dienst mittlerweile auch viele Menschen, die einfache Tätigkeiten verrichten, etwa im Servicebereich.

Ist das öffentliche Bezahlsystem flexibel genug, um Top-Leuten einen Bonus zu zahlen? Damit der IT-Experte nicht zum Tech-Konzern, sondern zur Stadtverwaltung geht? 
Ja, da gibt es Möglichkeiten sowohl im Tarifsystem als auch bei der Beamtenbesoldung. In Bayern etwa können IT-Experten bis zu 1000 Euro im Monat oben drauf bekommen. Möglich ist es auch, jemanden innerhalb der Vergütungsgruppen höher einzustufen, als es normalerweise der Fall wäre. Sogar die Bereitstellung einer Dienstwohnung ist möglich. Das Problem ist nur, dass vielen Kommunen die finanziellen Mittel für derartige Sonderleistungen fehlen.



Im öffentlichen Dienst gibt es fleißige und weniger fleißige Beschäftigte...
...wie überall...

...aber müsste das Bezahlsystem nicht generell leistungsorientierter werden?
Im Prinzip schon. Ich befürworte eine stärker leistungsorientierte Bezahlung ausdrücklich. Das Problem ist nur: Alle praktischen Versuche in dieser Richtung sind krachend gescheitert, sowohl im Tarifbereich als auch bei den Beamten.

Kaffee und Kram Lässt sich Tchibos Niedergang aufhalten?

75 Jahre nach der Gründung bröckelt die Geschäftsbasis von Tchibo. Konzernpatron Michael Herz stemmt sich gegen den Niedergang des Kaffeehändlers.

Eskalation der Geopolitik China bereitet sich auf künftige Sanktionen des Westens vor

China bereitet sich auf eine Eskalation der geopolitischen Konflikte vor – mit massiven Goldkäufen, neuen Handelsrouten und einer verstärkten Abkehr vom Dollar.

Ab ins Umland Die Stadtflucht erreicht eine neue Stufe

Familien und Ältere verlassen schon länger die Städte, um im Umland eine Immobilie zu erwerben. Doch jetzt greift die Stadtflucht auch auf andere Gruppen über.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Warum?
Das liegt zum einen an Bedenken vieler Personalräte, die das ungerecht finden und Nasenprämien für die Lieblinge des Chefs befürchten. Es liegt aber auch an vielen Führungskräften in der Verwaltung, die bei einer stärker leistungsorientierten Entlohnung Stress mit ihren Beschäftigten befürchten – und deshalb darauf verzichten. Wir haben im öffentlichen Dienst ein generelles Problem mit der Führungskultur. Das zeigt sich im Übrigen auch an den Ausgaben für Fort- und Weiterbildung. Privatunternehmen geben im Schnitt rund zehn Prozent ihrer Lohnkosten dafür aus. Im öffentlichen Dienst sind es unter zwei Prozent.

Lesen Sie auch: Ist der deutsche Staat aufgebläht? Die Wahrheit in 5 Grafiken

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%