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Deutschland zeigt in vielfältigen regionalen Ökosystemen, wie sich Forschung, Industrie und Start-ups zu einem erfolgreichen Innovationsökosystem verbinden lassen. In Norddeutschland vernetzt dazu das Cluster Life Science Nord (LSN) Unternehmen, Hochschulen und Kliniken über Ländergrenzen hinweg und der High-Tech Gründerfonds (HTGF) bringt bundesweit als erfahrener Frühphaseninvestor Kapital, Know-how und Netzwerke ein. Gemeinsam geben Oliver Schacht (Geschäftsführer Life Science Nord) und Dr. Achim Plum (Geschäftsführer HTGF, Ressort Life Sciences & Chemie) Einblicke, wie es um deutsche Life-Science-Start-ups steht und welche Entwicklungen die Zukunft gestalten könnten.
Herr Schacht, Herr Plum: Warum ist Deutschland und insbesondere Norddeutschland ein gutes Beispiel dafür, wie aus Forschung skalierbare Life-Science-Unternehmen entstehen und warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, größer zu denken?
Achim Plum: Grundsätzlich ist es um Life-Science-Innovationen „Made in Germany“ nicht schlecht bestellt. Wir haben in diesem Bereich eine starke Grundlagenforschung, die auch immer wieder in spannenden Ausgründungen mündet. Die Produktentwicklung ist allerdings sehr kapitalintensiv. Dennoch gelingt es uns gut, die stärksten Teams früh zu finanzieren und auch in den Folgerunden das nötige Kapital zu sichern. Dadurch erreichen sie skalierbares Wachstum und erfolgreiche Exits. Unternehmen aus der Life Science tragen so signifikant zur Rendite des HTGFs bei.
Mit Unternehmen wie Cardior und MYR hatten wir Unicorn-Exits. Die Tubulis hat gerade die größte Serie C eines europäischen Biotech-Unternehmens eingeworben. Ein jüngeres Bespiel aus dem Norden ist der erfolgreiche Verkauf der GQ Bio, ein Unternehmen aus Hamburg, dass eine Gentherapie-Plattform entwickelt hat.
Oliver Schacht: Ich kann das nur unterstreichen. Die Pipeline ist da und in Norddeutschland übersetzen wir sie regelmäßig in Produkte. Life Science Nord vernetzt seit über 21 Jahren ein starkes Ökosystem: mehr als 600 Akteure, 8 Universitäten, 14 Forschungseinrichtungen und zwei führende Unikliniken. Daraus entsteht eine Bruttowertschöpfung von knapp sechs Milliarden Euro mit gut 55.000 hochqualifizierten Jobs plus weiteren 20.000 bis 30.000 indirekten Jobs.
Unsere Rolle als Cluster ist die Beschleunigung: Wir bringen Teams früh mit Kliniken, Mittelstand und internationalen Partnern zusammen, öffnen Türen zu Projekten und Investoren. Genau die Brücken, die kapitalintensive Entwicklungen brauchen.
Zehn Milliarden Euro jährliche Investitionen durch die Life-Science-Strategie der EU. Stehen wir jetzt vor einem Paradigmenwechsel?
Oliver Schacht: Die zehn Milliarden klingen gut, aber wenn man sie auf 27 EU-Mitgliedsstaaten und innerhalb dieser auf eine Vielzahl von Regionen verteilt, dann erkennt man schnell, dass es nur ein Anfang sein kann. Auch wenn die Richtung stimmt, wird das nicht reichen, um dem eigenen Anspruch, die weltweit führende Region zu sein, gerecht zu werden. Dazu wird es ein Vielfaches brauchen, insbesondere an privatem Kapital.
Achim Plum: Wenn wir die Life Sciences in Deutschland dauerhaft strategisch breit aufstellen und die Wertschöpfung in Deutschland oder der EU halten wollen, gehe ich von einem Faktor zehn gegenüber dem derzeit investierten Kapital aus. Das lässt sich nur schaffen, wenn wir öffentliche Mittel optimal nutzen, um privates Kapital zu mobilisieren – also Anreize schaffen, in diese Assetklasse zu investieren.
Welche Themen dieser Assetklasse sind für Investoren in Deutschland beziehungsweise in Europa aktuell besonders attraktiv?
Achim Plum: Grundsätzlich sehen wir ein anhaltendes Investitionsinteresse in Biologicals und hier insbesondere in Antibody-Drug-Conjugates. Darüber hinaus führen neue technologische Ansätze zu spannenden Entwicklungen in der Zell- und Gentherapie. Aber auch synthetische Biologie, KI-basierte Lösungen für Diagnostik und Wirkstoffentwicklung, Implantables und Robotik in der Medizintechnik sind von großem Interesse.
Bayern hat im Juli 2025 das Stiftungsrecht so präzisiert, dass gemeinnützige Stiftungen bis zu fünf Prozent ihres Vermögens in Venture Capital-Fonds investieren dürfen, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. Wäre das auch für (Nord-)Deutschland denkbar?
Achim Plum: Wir begrüßen diesen Schritt sehr und hoffen, dass er Schule macht. Aber wir müssen hinsichtlich der dringend notwendigen Mobilisierung von privatem Kapital noch weiterdenken und Venture Capital in den großen Kapitalsammelstellen wie Versicherungen und Pensionskassen in Europa mobilisieren, letztere fehlen uns ja leider in Deutschland.
Grundsätzlich ist eine Beimischung dieser Assetklasse zum Anlageportfolio dieser großen Spieler ausgesprochen sinnvoll. Bereits wenige Prozent des Kapitals von institutionellen Investoren würde einen großen Unterschied in Europa machen. Was es braucht, ist eine Lockerung der Regulatorik, mehr Anreize und vielleicht auch ein bisschen Druck, wie es Italien durch die Verknüpfung von Steuervorteilen und Mindestquoten für VC-Investments gerade vorlebt.
Oliver Schacht: Dem kann ich nur zustimmen. Ich sehe das bayerische Modell durchaus als Vorbild für unsere Region, zumal der Norden eine Vielzahl von Stiftungen mit enormen Mengen an privatem Stiftungskapital hat. So haben sich zum Beispiel die Otto Stiftung und die Herz Stiftung mit anderen Investoren zusammengetan, um das Hamburger Exzellenz-Cluster "Impossible Founders" voranzubringen. Hier sind inzwischen mehr als 50 Millionen Euro Kapital mobilisiert worden und es soll im Laufe der Zeit noch sehr viel mehr werden.
Als Life Science Nord sind wir ständig dabei, immaterielle Mehrwerte zu schaffen, etwa durch Mentoring, Pitch- und Investorenveranstaltungen sowie Einzelberatung von Start-ups und Gründer-Teams. Das ist sehr wichtig, aber gleichzeitig muss die Attraktivität in Life Sciences zu investieren an anderen Stellen, wie von Achim Plum aufgezeigt, noch weiter gesteigert werden.
Wenn Sie einen einzigen Schalter in Europa, in Deutschland und speziell in Norddeutschland umlegen würden, um die Life Science Start-up-Szene voranzubringen – welcher wäre das?
Oliver Schacht: Der eine Schalter, den ich im Norden gerne umlegen würde, ist der des norddeutschen Understatements. Wir müssen es schaffen, gute Dinge zu tun und dann viel, offen und selbstbewusst darüber zu kommunizieren. Die Erfolge im Norden sind in der Realität sehr viel größer als in der Wahrnehmung. Wir brauchen einen Sichtbarkeits-Boost für Innovation und Start-ups made in Hamburg und Schleswig-Holstein.
Achim Plum: Für mich wäre es in Deutschland und Europa vor allem eins: mehr Mut – zum Gründen und zum Investieren. Es lohnt sich!