Roboter bei Trigema Wolfgang Grupp Jr. und der Polohemd-Automat

Wolfgang Grupp Junior Quelle: dpa

Die Automatisierung ist noch nicht in der Textilindustrie angekommen. Gleichzeitig werden Näherinnen und Näher knapp, gerade in Deutschland. Trigema-Co-Chef Wolfgang Grupp Jr. sorgt vor – und plant den Polohemdautomaten.

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Die Idee mit dem Polohemdenautomaten ist im direkten Zusammenhang mit Corona entstanden, im Frühjahr 2020. Mitarbeiter einer Klinik hätten sich bei ihm gemeldet, erzählt Wolfgang Grupp Junior, Co-Geschäftsführer des Textilherstellers Trigema, und gefragt, ob die Firma statt T-Shirts und Polohemden nicht auch die gerade so gefragten Stoffmasken produzieren könne. Trigema konnte. Einige der Näherinnen und Näher stellten fortan Stoffmasken her. Ein Maschinenbauer aus Südhessen las davon in der Lokalpresse und kontaktierte Familie Grupp; er könne vielleicht behilflich sein. So fing alles an.

Es gibt nicht genug Näherinnen und Näher in Burladingen. Politiker und Ökonomen reden in so einer Situation allgemein vom Fachkräftemangel. Wolfgang Grupp Junior sagt: „Im Konfektionsbereich suchen wir immer Leute.“ Für Wolfgang Junior – er trägt den Namenszusatz zur Unterscheidung von seinem gleichnamigen Vater – ist das ein potenzielles Problem. Denn seine Familie betreibt im 12.000-Einwohner-Städtchen auf der Schwäbischen Alb nun mal mit der Firma Trigema den größten deutschen Textilproduzenten. 1.200 Angestellte, rund 122 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2020. Noch gebe es keinen Personalengpass, unterstreicht Grupp Jr. „Wir sind jetzt nicht in der Not, aber wir müssen das Thema rechtzeitig angehen.“

Die Produktion in Billiglohnländer auszulagern, kommt überhaupt nicht infrage: Firmenchef Wolfgang Grupp Senior betont schließlich seit Jahren mit Verve und bei nahezu jeder Gelegenheit, dass es entgegen anderslautender Meinungen diverser Modehändler eben doch möglich sei, in Deutschland T-Shirts und Polohemden zu produzieren. „100 Prozent made in Germany“ lautet der Trigema-Slogan. Aber wie lange geht das noch?

Hören Sie hier das komplette Gespräch: Im Podcast erzählen Wolfgang Grupp und seine Kinder Bonita und Wolfgang Grupp junior von ihrem Leben als eine der bekanntesten Familien Deutschlands, wie sie gemeinsam arbeiten – und über Start-ups und New Work denken.

Grupp Senior lässt seine Kinder machen

Damit sich dieses potenzielle Problem nicht zu einem existenziellen entwickelt, probiert Trigema nun etwas aus. Dass dies keine Chefsache ist, ist an sich schon bemerkenswert. Denn über viele Jahrzehnte prägte Wolfgang Grupp Senior als alles bestimmender Patriarch das Trigema-Bild, nach außen wie nach innen. Doch der Mann wird im April 80 Jahre alt. Schon vor einiger Zeit hat er deshalb angekündigt, dass entweder seine Tochter oder sein Sohn eines nicht mehr ganz so fernen Tages die Geschäfte übernehmen sollen.

Und er hat entsprechende Taten folgen lassen. Der 30-jährige Wolfgang Grupp Junior und seine zwei Jahre ältere Schwester Bonita sind nun bereits seit 2015 Mitglieder der Geschäftsleitung. Sie leitet den Onlinehandel und das Personal, er verantwortet den B2B-Vertrieb und ist IT-Projektleiter. Und eines seiner Projekte geht auf den südhessischen Maschinenbauer zurück.

Wenige Wochen nach dem Start der Maskenproduktion im Frühjahr 2020, erinnert sich Grupp Junior, meldeten sich Marko Richter und Peter Ahlmer, Chefs der Firma 3Defacto mit Sitz in Mühltal bei Darmstadt. Der Mittelständler versteht sich als Dienstleister für Projekte in den Bereichen Maschinenbau, Anlagentechnik und Software. Für die Stoffmasken, schlugen die Geschäftsführer den Grupps vor, könnten sie einen Automaten zur Verfügung stellen, der Masken aus Stoff näht. Als 3Defacto wenige Wochen später ein Konzept präsentierte, war die Nachfrage nach Stoffmasken allerdings wieder deutlich zurückgegangen. FFP2-Masken waren nun gefragt, Trigema beendete die Maskenproduktion wieder.

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Aber: So eine Maske ist zweilagig und enthält ein stabilisierendes Stäbchen. Wenn das möglich ist, sagten die beiden, müsste das doch auch mit T-Shirts und Polohemd möglich sein. „Seitdem stehen wir in engem Kontakt“, sagt Grupp. „Die Firma 3Defacto versucht für uns einen Spezialautomaten zu entwickeln.“ Trigema lässt sich dieses Forschungsprojekt bislang immerhin rund 500.000 Euro kosten.

Der erste Prototyp soll Poloshirts produzieren, vollautomatisch. Denn was den Nähaufwand betrifft, sei das Polohemd eines der aufwändigeren Produkte im Trigema-Portfolio, sagt Grupp Junior. Jedenfalls komplexer als das klassische T-Shirt. Das Annähen der Knopfleiste, der Kragen – das sei auch für die Näherinnen und Näher komplexer, erklärt er. Und die Kundennachfrage nach diesem Hemd sei gegeben: „Wir sind sicher, dass das Poloshirt in der Zukunft weiterhin eine hohe Bedeutung hat.“

Automation in Textilbranche wenig verbreitet

Es mag überraschen, dass Automation in der Textilbranche generell nicht weit verbreitet ist. Viele vermeintliche Durchbrüche und Revolutionen wurden bereits angekündigt. Erst vor wenigen Wochen vermeldete die Firma Softwear Automation aus Atlanta, einer der weltweit führenden Nähroboter-Spezialisten, mittels neuer Roboter namens Sewbots die Textilindustrie flächendeckend zu automatisieren. Doch nach wie vor werden heute die Nähmaschinen größtenteils von Menschen bedient. Laut einem Bericht der Uno sind weltweit mehr als 75 Millionen Menschen in der Textilproduktion beschäftigt. Die allermeisten davon in Entwicklungsländern wie Bangladesch und Vietnam, wo die westlichen Modekonzerne zu verhältnismäßig geringen Lohnkosten schneidern lassen.

Denn das genaue Zuschneiden von feinem Stoff, der sich dehnt oder mal verrutscht, sei für Roboter nun mal deutlich schwieriger zu bewerkstelligen, als etwa das Zuschneiden von Eisen, Blech oder Metall, doziert Grupp Junior. Jeans seien in dieser Hinsicht schon etwas einfacher zu handhaben für Roboter. Der Jeanshersteller Levi Strauss aus San Francisco etwa experimentiert seit ein paar Jahren mit Lasern, die bei der Hosenproduktion unterstützen. Und jüngst sorgte C&A für Aufsehen mit seiner nach Deutschland zurückgeholten Jeansproduktion, in der Maschinen rund 50 Prozent des Produktionsprozesses übernehmen.

Der Verdacht ist nicht ganz abwegig, dass hier aus Kostengründen Menschen durch Roboter ersetzt werden sollen. Wolfgang Grupp Junior unterstreicht deshalb mehrfach, dass Trigema aus anderen Gründen das Forschungsprojekt mit 3Defacto startete: „Wir wollen nicht Mitarbeiter ersetzen, sondern den Standort Deutschland sichern – Automation ist dafür eine Hilfe.“ Überhaupt sei man noch nicht so weit, um von Erfolg oder Misserfolg des Projekts sprechen zu können.

Ein Polohemd in fünfzehn Minuten – mit dem Automaten in einer Minute?

Bisher bleiben ihm nur theoretische Rechenbeispiele – und die stimmen Wolfgang Grupp Jr. hoffnungsvoll. Derzeit produziert Trigema rund 500.000 Polohemden im Jahr. Für eins benötigen die Näherinnen und Näher etwa fünfzehn Minuten. Der Automat könnte bei Vollauslastung ein Polohemd in einer Minute produzieren, womöglich auch 1 Minute 30 Sekunden. „Das ist sportlich gerechnet“, sagt Grupp Jr. Zudem rechne er damit, dass die Maschine zwei Angestellte benötigt, die sie bedienen. Unklarheit herrscht noch bei der Berechnung für die sogenannte Rüstzeit, wenn man die Maschine also kurz anhalten muss, um etwa eine neue Farbe einzustellen. Sollte der Automat tatsächlich kommen und die geplanten Taktzeiten annähernd einhalten können, könnte Trigema seine Polohemd-Produktion also erhöhen.

Die Frage ist, ob Trigema die dann auch alle verkaufen kann. Eine andere Frage: Wie wahrscheinlich ist die Realisierung? „Das ist ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt“, betont Grupp Jr. Dabei könne auch herauskommen, dass es zu komplex sei und man es wieder begraben müsse. „Ich gehe aber schwer davon aus, dass zumindest eine Teilautomatisierung dabei herauskommt.“ Der Austausch mit 3Defacto sei rege, erst vor zwei Wochen traf man sich in Burladingen zu einer Zwischenbesprechung. Im Sommer könne er den Zeitplan exakter bemessen. „Wenn wir es nicht versuchen, wissen wir es nicht.“

Mehr zum Thema: Warum die Modekette C&A die Textilproduktion nach Deutschland holt

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