Anlagenbauer SMS in der Coronakrise „Da quatscht nicht mehr ständig einer dazwischen“

SMS-Group-Anlage in den USA Quelle: PR

In jeder Krise liegt auch eine Chance. SMS-Chef Burkhard Dahmen über die Experimentierfreude aus der Not heraus, deutsche Debattenkultur und den Vertrieb per Videoschalte.

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Seit 2015 lenkt Burkhard Dahmen die Geschicke der SMS Group GmbH als CEO. Was den Chef des Stahlwerkausrüsters in der Coronakrise umtreibt, erzählt er im Interview.

WirtschaftsWoche: Herr Dahmen, die SMS Group baut Maschinen und Anlagen und setzt rund drei Milliarden Euro um. Inwiefern unterscheidet sich Ihr Arbeitstag heute von denen vor Corona?
Burkhard Dahmen: Es hat sich dahingehend einiges geändert, dass wir jetzt ständig in einer Art Krisenmodus sind. Wir sind täglich mit dem Lösen der Situationen beschäftigt, die mit den aktuellen Meldungen aus aller Welt hereinkommen. Sind unsere Mitarbeiter auf den weltweiten Baustellen sicher? Wie gehen die Arbeiten dort weiter? Wie können wir für Sicherheit sorgen? Sollen wir die Mitarbeiter nach Hause holen? Aber auch mit den „Was ist, wenn-Szenarien“. Was ist etwa, wenn aufgrund staatlicher Regelungen Büroschließungen stattfinden, wie in Italien. Wie organisieren wir dann unseren Geschäftsbetrieb, zum Beispiel die Unterschriften, die Kommunikationsabläufe, das Arbeiten im Home Office? Bis hin zum Tag X, wenn plötzlich alle Auflagen aufgehoben werden – und unsere Kunden von uns erwarten, dass wir die Aufträge – die bei uns bislang nur aufgeschoben sind – auf einmal nachholen. Als Familienunternehmen in vierter Generation nehmen wir unsere Fürsorgepflicht sehr ernst. Wir haben einen Krisenstab, der unsere Mitarbeiter über unser Intranet und unsere eigene App über den aktuellen Stand informiert. Zusätzlich gehe ich regelmäßig schriftlich und neuerdings auch per Videobotschaft auf die Mitarbeiter zu.

Wie sieht es denn aufgrund von Abstands- und Hygiene-Regelungen mit Besprechungen und Versammlungen bei Ihnen aus?
In der Geschäftsführung sind wir ja zu Fünft und führen die meisten Sitzungen virtuell, aber auch schon mal persönlich. Dann halten wir uns natürlich an die Hygienemaßnahmen und den Sicherheitsabstand von mindestens 1,5 Metern. Fast alle weiteren Meetings, egal, ob mit unseren Kunden oder Partnern, an den verschiedenen deutschen und an unseren Auslandsstandorten, laufen bei uns aktuell nur noch über digitale Meeting-Plattformen wie Skype oder Teams – sogar mit den Kollegen, die im Büro nebenan sitzen. Aber auch Normalitäten wie das gemeinsame Mittagessen fallen weg. Wir haben unsere Kantine auf Gerichte zum Mitnehmen umgestellt und die Öffnungszeiten ausgeweitet, damit nicht alle zur selben Zeit kommen und Abstand halten können.

Die SMS Group gehört zu den Mittelständlern, die schon vor der Coronakrise digital gut aufgestellt waren. Ist das virtuelle Management für Sie persönlich denn überhaupt eine große Umstellung?
Es ist jetzt einfach ein ganz anderes Ausmaß, in dem wir digital arbeiten. In den Büros sind aktuell nur noch 20 Prozent der Mitarbeitenden, die übrigen arbeiten von Zuhause aus. Alleine an unseren Standorten in Deutschland haben wir über Nacht 3.000 externe Zugriffe auf unser Unternehmensnetzwerk geschaffen und unsere Mitarbeiter mit der entsprechenden Hardware versorgt. Natürlich ist es erst einmal ein Umdenken, weil viele immer noch darauf konditioniert sind, dass Arbeitszeit, Anwesenheit und Leistung zusammengehören. Irgendwie ist ja immer noch ein wenig das Vorurteil in uns drin: „Den seh' ich nicht, also machte er, was er will“. Und natürlich müssen Führungskräfte jetzt auch ein Stück weit die Art der Kontrolle ändern und noch mehr über Ziele und Inhalte steuern. Aber es ist erstaunlich, wie gut alles funktioniert! In der Praxis zeigt sich nun, dass sich vieles auch wesentlich effizienter gestalten lässt: Die Online-Meetings beispielsweise sind viel disziplinierter in puncto Pünktlichkeit, Genauigkeit und Selbstorganisation. Da quatscht jetzt nicht mehr ständig einer dazwischen – und bei Überschreitung der anberaumten Zeit ermahnt uns die Technik. Vorbereitete Unterlagen können für alle auf ihrem Bildschirm sichtbar gezeigt und besprochen werden.

Burkhard Dahmen, Chef der SMS Group GmbH.

Warum haben Sie diese Möglichkeiten denn nicht viel eher genutzt, Ihre Tochter „SMS digital“ wurde bereits 2016 gegründet – und in den USA sind Ihre vollvernetzten, selbstlernenden Fabrikanlagen in der Erprobung?
Tatsächlich waren unsere Kollegen von der SMS digital und in manchen Überseeregionen hier schon weiter. Aber in Deutschland haben wir ja eine ziemliche Debattenkultur. Dies ist auf der einen Seite gut, auf der anderen zögert es Entscheidungen heraus. Mit Corona haben sich dann auch die schon lange anhaltenden Diskussionen zum Für und Wider virtueller Führung und Arbeitsweisen schnell erledigt, weil es einfach nicht mehr anders geht.

In puncto Corona-Sicherheitsvorkehrungen sind Büroangestellte sehr privilegiert. Sie sind Weltmarktführer im Anlagen- und Maschinenbau, wie sieht es denn in der Produktion aus?
Egal ob im Büro, auf Baustellen oder in unseren eigenen Werkstätten, die Sicherheit unserer Mitarbeiter und Geschäftspartner hat immer oberste Priorität: Wir bauen große Produktionsanlagen, ganze Stahlwerke, die sich über Quadratkilometer ausstrecken können, sodass der Sicherheitsabstand auf unseren Baustellen schon prozessbedingt gewährleistet ist. Auch in unserer Fertigung treffen wir alle Vorkehrungen zum Schutz unserer Mitarbeiter. Die Maschinen stehen in der Regel viele Meter auseinander. Schichtübergaben finden kontaktlos statt. Anders sieht es aber in der Tat bei der Vormontage der einzelnen Anlagenelemente in unseren Werkstätten aus: Da lassen sich Arbeitsschritte und Fläche nicht immer so gut entzerren. Um die Sicherheit zu gewährleisten, tragen unsere Mitarbeiter zusätzlich zu ihrer Sicherheitsausrüstung – Helm, Brille und Handschuhe – auch Atemschutzmasken, wenn sich der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht gewährleisten lässt.

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