Sigmar Gabriel „Nord Stream 2 war ein richtiges Projekt“

Zu Besuch in Katar: Der ehemalige SPD-Spitzenpolitiker und Exaußenminister Sigmar Gabriel gilt als großer Freund des Landes. Quelle: dpa Picture-Alliance

Der frühere Wirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) über die Folgen des Konflikts mit der Ukraine, Auswege aus einem möglichen Energieengpass und seine Sympathien für das umstrittene Emirat Katar.

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Sigmar Gabriel, 62, war von 2009 bis 2017 SPD-Vorsitzender, von Ende 2013 bis Anfang 2018 war er zunächst Wirtschafts- und dann Außenminister. Heute ist er unter anderem Vorsitzender der Atlantik-Brücke und Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Bank.

WirtschaftsWoche: Herr Gabriel, als Sie jüngst ein Foto von Ihrer Reise nach Katar bei Twitter einstellten, gab es hunderte größtenteils empörte Reaktionen. Können Sie die verstehen?
Sigmar Gabriel: Ich habe diese Reaktionen nicht wahrgenommen. Und ich lasse mich grundsätzlich wenig von Kommentaren in sozialen Netzwerken leiten.

Kritiker stören sich daran, dass Katar ein autoritärer Staat ist, der die Menschenrechte missachtet.
Ich kann jede Form der Kritik nachvollziehen, wenn sie fundiert ist. Katar ist eine Monarchie und keine europäische Demokratie, aber viele Vorwürfe verraten vor allem eine große Unkenntnis über dieses Land. Katar hat sich auf einen Reformweg begeben, der in der Region in vieler Hinsicht einmalig ist und auf dem wir es unterstützen sollten.

Die Reformen sind womöglich nicht ernstgemeint oder erfolgen zumindest nicht schnell genug.
Ich bin sicher, dass die Reformen ernstgemeint sind. Gleichzeitig bestreitet niemand, dass manches nicht schnell genug vorangeht oder dass es bei der Umsetzung beschlossener Reformen vor allem auf dem Arbeitsmarkt Mängel gibt. Das sagen sogar die Vertreter der katarischen Regierung selbst. Aber mal ganz im Ernst: Haben wir eigentlich vergessen, dass Reformen Schritt für Schritt kommen und nicht über Nacht? Meine Mutter brauchte noch in den 1970er-Jahren die Erlaubnis ihres Ehemanns, um arbeiten gehen zu dürfen. Auch wir haben Zeit gebraucht, um so zu werden, wie wir sind.

von Florian Güßgen, Martin Seiwert, Cornelius Welp

Das sagt noch nichts über die Reformbereitschaft in Katar aus.
Dass die Richtung in Katar stimmt, haben unter anderem die Internationale Arbeitsorganisation und die UNO-Menschenrechtskommission bestätigt. Das Land ist im Reformprozess deutlich weiter als seine Nachbarstaaten. Es ist eine sehr deutsche Haltung, von anderen Ländern zu verlangen, einen solchen Prozess innerhalb weniger Jahre zu absolvieren. Bis wir den heutigen Zustand erreicht haben, sind wir schließlich auch Jahrhunderte knietief durch Blut gewandert.

Sie können es also nicht verstehen, wenn bei der Hauptversammlung des FC Bayern München ein Streit um die Partnerschaft mit dem Emirat eskaliert?
Ich maße mir kein Urteil über die Hauptversammlung des FC Bayern an. Noch einmal: Kritik ist berechtigt, aber sie muss fair sein. Wenn ich zum Beispiel in einer großen Tageszeitung lese, dass Katar den islamischen Dschihad nur deshalb aus den Schulbüchern gestrichen hat, um vor der Fußball-WM Reformbereitschaft vorzutäuschen, halte ich das schlicht für Blödsinn. Alle internationalen Beobachter sagen, dass es gerade der Fußball und die Weltmeisterschaft in diesem Jahr waren, die die inneren Reformen Katars sehr beschleunigt haben. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, den FC Bayern wegen seiner Partnerschaft mit Qatar Airways zu kritisieren. Im Gegenteil.

Sie haben sich schon in Ihrer Zeit als Außenminister intensiv im Austausch mit dem Emirat engagiert und pflegen bis heute viele Kontakte. Wie kommt es dazu?
Ich hatte bereits als Wirtschaftsminister einige Vertreter Katars kennengelernt. 2017 haben Saudi-Arabien und andere Golfstaaten dem Emirat dann vorgeworfen, Terroristen zu finanzieren und deshalb eine Blockade inszeniert. Ich habe mich gemeinsam mit meinem damaligen US-Kollegen Rex Tillerson als Außenminister intensiv damit befasst. Es hat sich schnell gezeigt, dass diese Vorwürfe haltlos waren und in der Vergangenheit eher auf die Staaten zutrafen, die diese Vorwürfe erhoben hatten.

Sie finden also, dass Katar ein verlässlicher Partner sein kann?
Katar war und ist seit Jahren ein starker und verlässlicher Partner des Westens. Sonst hätten die USA wohl kaum ihre größte Militärbasis im Nahen Osten in Doha. Und es sind die USA, die Katar gebeten haben, das Hauptquartier der Hamas ebenso zu beherbergen wie die Verhandlungen mit den Taliban auszurichten. Katar gilt einfach als ehrlicher Vermittler in der Region. Wie sehr Katar uns in schwierigen Situationen hilft, hat sich zuletzt daran gezeigt, dass Flüchtlinge beim überstürzten Abzug aus Afghanistan zunächst nach Doha ausgeflogen worden sind.

Das Land könnte für Europa noch wichtiger werden, wenn es als Ersatzlieferant von Gas für Russland einspringt. Ist das eine gute Idee?
Es ist sicher eine gute Idee, sich bei der Energieversorgung möglichst breit zu diversifizieren und unabhängig von einem einzelnen Partner zu machen. Die vergangenen Jahrzehnte waren von Liberalisierung und Entpolitisierung geprägt. Das hat dazu geführt, dass wir uns bei der Gaslieferung ausschließlich am Preis orientiert haben. Das Ziel der Liberalisierung des Energiemarktes in Europa war es ja, die Versorgungssicherheit durch die Marktteilnehmer zu sichern, weil das deutlich niedrigere Kosten zur Folge hatte. Und die Marktteilnehmer haben die preiswerteste Energieversorgung gewählt: russisches Pipeline Gas. Wir dachten einfach, dass nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auch in der Energiepolitik eine „Friedensdividende“ erreichbar wäre. Eine Krise, wie wir sie derzeit mit Russland erleben, haben wir mehrheitlich in Europa nicht für möglich gehalten.

Sie waren von 2013 bis 2017 Wirtschaftsminister und hatten dadurch selbst Anteil an dieser Entwicklung. In ihrer Amtszeit wurde etwa der größte deutsche Gasspeicher an Gazprom verkauft. War das ein Fehler?
Das lässt sich heute leicht sagen. Ich war damals für die Liberalisierung, von der wir ja auch 30 Jahre profitiert haben. Aber damals war die Situation eine völlig andere und kaum jemand hätte sich vorstellen können, dass heute 100.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine stehen und Krieg in Europa wieder möglich wird.

Lesen Sie hier mehr zum Thema: Warum gehört Deutschlands größter Gasspeicher Gazprom?

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