EU-Verordnung gegen Halbleitermangel EU-Kommission will Chip-Produktion in Europa vervierfachen

Die EU-Kommission will die Chip-Produktion in Europa bis 2030 vervierfachen. Quelle: REUTERS

EU-Industriekommissar Thierry Breton will die Halbleiterproduktion in Europa vervierfachen. Ein vertraulicher Entwurf sieht umfassende Subventionen und weitreichende Eingriffsrechte für die EU-Kommission vor.

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„Sensibel“ steht auf den Dokumenten, die derzeit in kleinstem Kreis in der EU-Kommission in Brüssel kursieren. „Nicht in der Öffentlichkeit lesen“, werden die Empfänger ausdrücklich gewarnt. Der Entwurf für einen europäischen Chip Act, den EU-Industriekommissar Thierry Breton am kommenden Dienstag vorstellen wird, hat es in sich. Wie erwartet, werden milliardenschwere Subventionen für die Halbleiterindustrie vorgeschlagen, um künftige Engpässe zu vermeiden. Eine Überraschung sind dagegen die umfassenden Durchgriffsrechte für die EU-Kommission, die Breton vorschlägt. Sie soll im Extremfall subventionierte Unternehmen zu Lieferungen an bestimmte Branchen zwingen können.

Die EU-Kommission unterstreicht den Ernst der Lage. Der aktuelle Chipmangel könnte zentrale Branchen wie Gesundheit, Verkehr, Energie, Verteidigung, Sicherheit und Raumfahrt beinträchtigen, heißt es in dem Verordnungsvorschlag, der der WirtschaftsWoche gemeinsam mit zwei begleitenden Dokumenten vorliegt. „Es besteht die Gefahr, dass sich die grüne und digitale Transformation der Union verzögert“, heißt es.

Um die Versorgungssicherheit künftig zu gewährleisten, will die EU-Kommission die Chip-Produktion in Europa bis 2030 vervierfachen. Die EU-Kommission hatte bisher das Ziel gesetzt, dass die Europäische Union bis 2030 insgesamt 20 Prozent der weltweiten Chips produzieren soll. „Weil erwartet wird, dass sich der Markt bis 2030 verdoppelt, muss sich die Produktion vervierfachen“, heißt es in dem Papier.

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Die EU-Kommission will einen Chip-Fonds auflegen, um die Branche massiv finanziell zu fördern. Über die genaue Größe der öffentlichen Unterstützung für die Chip-Produktion hat sich Brüssel noch nicht mit den Mitgliedsstaaten einigen können. Aus den Dokumenten geht hervor, dass es sich um einen zweistelligen Millionenbetrag an Subventionen handeln wird, wie zuvor von Industriekommissar Breton angekündigt. Alleine zehn Milliarden Euro sollen in die Verbesserung von Design- und Produktionsfähigkeiten fließen, heißt es in den Dokumenten. Dieser Betrag soll sich aus EU-Mitteln und Beiträgen der EU-Mitgliedsstaaten finanzieren. Ein neues Instrument soll gemeinsame Investitionen aus dem EU-Haushalt, nationalen Haushalten und privaten Quellen erleichtern.

Die EU-Kommission verweist ausdrücklich darauf, dass andere Länder die Chip-Produktion großzügig fördern. So haben die USA bis 2026 in ihrem Chip Act 52 Milliarden Dollar an Subventionen vorgesehen. China hat im vergangenen Jahrzehnt 150 Milliarden Dollar in den Sektor investiert, um international wettbewerbsfähig zu werden.

Der Verordnungsvorschlag sieht außerdem für bestimmte Chip-Produktionsstätten einen Sonderstatus vor. Es handele sich dabei um Werke, die die Versorgungssicherheit garantieren, und deshalb im öffentlichen Interesse agieren. Dieser Passus liest sich, als ob es Vorabsprachen zwischen Brüssel, Herstellern und Mitgliedstaaten gegeben hätte. Die Produktionsstätten mit Sonderstatus dürfen nationale Subventionen erhalten. Auch beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren sind vorgesehen.

Die EU-Kommission schlägt ein umfassendes Überwachungssystem vor, das künftig Engpässe bei der Chip-Versorgung frühzeitig aufdecken soll. Die Mitgliedsstaaten sollen dabei Auffälligkeiten im Markt an die EU-Kommission in Brüssel melden.

Die EU-Kommission soll so die Möglichkeit bekommen, den Chip-Notstand auszurufen. Sie könnte im Extremfall Hersteller, die Subventionen erhalten haben, zwingen, bestimmte Branchen zu beliefern. Auf Betreiben von zwei Mitgliedsstaaten könnte die EU-Kommission auch als zentrale Einkäuferin auftreten, um kritische Branchen mit relevanten Halbleitern zu versorgen.

Die EU-Kommission will auch die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften finanziell unterstützen. Die Branche in Europa leidet aktuell schon erheblich unter dem Mangel an Fachkräften. So befürchten Chiphersteller in Deutschland, dass der US-Chiphersteller Intel massiv Mitarbeiter abwerben würde, wenn er sich in Deutschland ansiedelt. Deutschland und Italien gelten als mögliche Ansiedlungsorte. Eine Entscheidung darüber könnte in Kürze fallen.

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