Ukrainekrise Warum Deutschland seine Helme behalten kann

Selbst ist der Soldat: Weil ihre Ausrüstung nicht immer die Anforderungen erfüllt, beschaffen sich Bundeswehrangehörige Helme auf eigene Rechnung. Quelle: imago/photothek

Die Helm-Lieferung an die Ukraine ist nicht nur peinlich, sondern auch unnötig. Ein IT-Konzern baut im Land längst einen gleichwertigen Kopfschutz. Selbst Bundeswehrsoldaten legen ihn sich auf eigene Kosten zu.

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Bei ihrem ersten Rüstungsexport bekam die Bundesregierung vorige Woche eine ungewohnte Reaktion. Anders als nach früheren Ausfuhr-Entscheidungen folgte kein teils heftiges Für und Wider. Stattdessen sorgte die geplante Lieferung von 5000 Helmen an die Ukraine weltweit fast einheitlich für tiefe Ablehnung mit bestenfalls ungläubigem Staunen. Der Kiewer Bürgermeister und Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko scherzte bitter, als nächstes werde Deutschland statt Verteidigungsmitteln wohl Kopfkissen liefern, und der neue CDU-Chef Friedrich Merz fragte sarkastisch, ob Deutschland nun auch Kuchen und ein altes Lazarett schicken wolle.

Für Kenner der Waffenbranche hat die Entscheidung zu den Helmen jedoch eine weitere Dimension. Sie ist nicht nur politisch peinlich und lässt Deutschland weitgehend isoliert. Sie ist darüber hinaus am Ende praktisch unnötig.

Denn die Ukraine braucht das vom Umfang her bescheidene Geschenk eigentlich gar nicht. Bestellt hatte das Land angesichts der Bedrohung durch Russland 100.000 Helme. Doch für eine Minimenge, wie sie Deutschland liefern will, hat es längst ein praktisch gleichwertiges Angebot aus dem eigenen Land: die Modelle der TOR-Reihe.



Hersteller ist die Firma UaRms aus Kiew. Deren Gerät nutzen laut der Internetseite des Unternehmens bereits seit Jahren weite Teilen der ukrainischen Streitkräfte, Polizeieinheiten und der Geheimdienst. Dazu haben die TORs auch im Westen ihre Fans. Im Internet sind sie frei zu haben – ab 469,95 Euro plus Versandkosten.

Hinter UaRms steht keiner der staatlichen Waffenkonzerne wie UkrOboronProm. Der macht unter anderem mit den Antonow-Flugzeugen 650 Millionen Dollar Umsatz und landet so auf Rang 97 der 100 größten Rüstungsunternehmen der Welt. UaRams hingegen gehört in die Gruppe des IT-Unternehmens KM Core aus Kiew. Der 1991 nach dem Auseinanderfallen der Sowjetunion als Kvazar Micro gegründete Konzern begann mit „der Entwicklung von Mikrochips, dem Vertrieb von Computerkomponenten, Peripheriegeräten und Software, sowie der IT-Beratung und Outsourcing“, erklärte das Unternehmen gegenüber der österreichischen Militärenthusiasten-Seite Spartanat.com.

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Der zivile Fokus änderte sich im Jahr 2014, als Russland die Krim annektierte. „Wir schlossen uns einer Freiwilligenbewegung an und begannen, zahlreiche ukrainische Bataillone aus Zivilisten zu unterstützen“, erklärte das Unternehmen auf der Internetseite. Zuerst hatten die ukrainischen Verbände nicht viel mehr als Stahlhelme aus der Zeit des Zweiten Weltkrieg, die ihre Träger kaum vor modernen Schusswaffen schützen. Später bekamen die Freiheitskämpfer zwar günstige, chinesische Helme mit ablaufender Garantiezeit aus europäischen Lagern sowie Schutzsysteme des einzigen staatlichen ukrainischen Herstellers. Doch weil auch die nicht besonders sicher waren, versuchte ein Teil der KM-Beschäftigten mit Ingenieuren von außerhalb des Unternehmens eine Eigenentwicklung. Hilfe kam von der japanischen Teijin-Gruppe, die Hightech-Kunststoffe lieferte. Im Jahr 2015 gab es den ersten Helm, der die STANAG genannten Standard der Nato erfüllte.

von Rüdiger Kiani-Kreß, Karin Finkenzeller, Cornelius Welp

Populär macht den Helm offenbar seine Qualität. „ein gelunger Helm“, urteilt Spartanat.com – in etwas unsicherer Rechtschreibung. Die Enthusiasten aus Österreich loben im Vergleich mit zwei populären westlichen Herstellern: „wenn Team Wendy und Ops CORE ein Kind bekommen würden, sehe es genau so aus, das Beste aus beiden Welten.“ In einem ausführlichen Test loben die Prüfer die „wertige“ Ausführung und den sehr guten Tragekomfort. Die Sicherheit „nach NATO Standard“ soll ein Test aus den USA garantieren. Und was die Fans besonders freut: TOR kostet nur einen Bruchteil vergleichbarer westlicher Produkte.

Das überzeugt offenbar nicht nur die vielen zivilen Fans von Eliteeinheiten und Sondereinsatzkräften, sondern auch Bundeswehrangehörige. Das Top-Modell Tor-D VN sei besonders beliebt bei den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, berichtet der „Schwarzwälder Bote“ aus Oberndorf am Neckar, Heimat der Schusswaffen-Hersteller Heckler & Koch sowie Mauser, heute Teil von Rheinmetall.

Der Grund ist erneut peinlich für Deutschland. Die Einsatzkräfte kaufen die ukrainischen Helme offenbar vor allem, weil sie von ihrem Arbeitgeber Bundeswehr nicht die richtige Ausrüstung bekommen. Offenbar fehlt es den Streitkräften nicht nur an begrenzt einsatzbereiten Panzern, Flugzeugen oder Sturmgewehren, sondern auch an schützenden Kopfbedeckungen.

Dabei geht es um die „Gefechtshelme Bodentruppen“ genannten vorhandenen Schutzsysteme der Bundeswehr, die ab 1992 von den Herstellern Schuberth aus Magdeburg und dem spanischen Anbieter Induyco geliefert wurden. Sie sind nicht nur in weiten Teilen am Rande ihrer Mindesthaltbarkeit, berichtet die Regionalzeitung. Die Helme sind darüber hinaus für weite Teile der Truppe im Einsatz begrenzt brauchbar. Denn unter die Schalen passen die derzeitigen Kopfhörer für die Funkgeräte nicht. Darum können die Soldaten im Einsatz mit ihren Kommandeuren wohl nur im Status „Helm ab“ kommunizieren. Zwar gibt es längst einen „Gefechtshelm schwer Zwischenlösung“ getauften Nachfolger, der die Anforderungen erfüllt. Doch weil das vom kanadischen Hersteller Galvion bestellte Hightech-Gerät auf sich warten lasse, würden Teile der Truppe sicherheitshalber zum Kopfschutz aus der Ukraine greifen, auch wenn sie den selbst bezahlen müssen.

Darum schlagen Insider längst vor, statt deutsche Helme in die Ukraine zu liefern gleich bei UaRms einzukaufen. „Das wäre nicht nur eine Wirtschaftsförderung, sondern am Ende vielleicht sogar billiger“, so ein Kenner der Branche. „Wie ich vom Ministerium organisierte Transporte bisher erlebt habe, kostet das wohl unterm Strich nicht viel weniger als die schlimmstenfalls 1,5 Millionen Euro für 5000 Helme aus der Ukraine.“

Das Ministerium selbst hält jedenfalls erst mal an der Lieferung fest. „Die Helme kommen aus dem Bestand der Bundeswehr“ und seien, „was wir im Lager als Überbestand haben“, erklärt eine Sprecherin. Sie ergänzt, das Schutzgerät hätte auch an Bundeswehrsoldaten ausgegeben werden können. Wann und wie sich die Lager in Richtung Osteuropa leeren sei allerdings derzeit noch offen, vor allem weil die Routen und der Transportdienstleiter noch nicht geklärt seien. Der Empfänger müsse das Angebot auch abrufen. „Was jetzt noch fehlt, damit es losgehen kann, ist eine Information aus der Ukraine, wann die Übergabe passieren soll, dann kann es rübergehen“, so die Sprecherin.

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Es sei denn, das Land will doch lieber Kopfkissen.

Oder Kuchen.

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