Konjunktur Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt

Schlange vor deichmann Quelle: imago images

Die rückläufigen Infektionszahlen rücken eine Frage in den Mittelpunkt, die noch vor Kurzem kaum jemand zu stellen wagte: Kommt schon bald ein Konjunkturpaket, um die Wirtschaft möglichst rasch zu beleben? Vieles spricht dafür. Denn in Berlin kursieren bereits Schwerpunkte des Programms – und eine Summe für den Umfang.

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Um zu verstehen, dass es die Bundesregierung niemals allen wird recht machen können, was auch immer sie tut, genügt der Blick in eine Institution: den BDI. Innerhalb des Industrieverbandes findet sich in Sachen Konjunkturpaket das ganze Meinungsspektrum: Die In-die-vollen-Fraktion hat in den Gremien sicher die Mehrheit, aber es gibt eben auch Truppen, die vehement die Parole „Weniger ist mehr“ ausgeben.

Eine „längere Phase mit hohem staatlichem Engagement ist unvermeidbar“, sagt also BDI-Präsident Dieter Kempf. Es brauche „gezielte Impulse“, ein „Klima-Konjunkturpaket“.

Wirklich, fragt hingegen Sabine Herold, Geschäftsführerin des bayrischen Klebstoffspezialisten Delo und Mitglied im BDI-Präsidium. „Ich würde mir gar kein Paket wünschen“, sagt sie. „Die Firmen, die es schaffen, Produkte herzustellen, die am Weltmarkt gefragt sind, brauchen kein Konjunkturpaket.“

Die große Koalition kann also eine Menge falsch machen. Gleich in mehrfacher Hinsicht: Sie kann das Timing verpatzen, also zu früh oder zu spät die Milliardenkurbel drehen. Und sie kann zu den falschen Instrumenten greifen, deren Wirkung dann möglicherweise ausbleibt – oder nicht bedachte Branchen auf die Barrikaden treibt. Nicht zuletzt deswegen waren die Spitzen der Koalition beim Treffen mit den Vertretern der Autoindustrie am Dienstag auch so zurückhaltend mit Versprechen – noch jedenfalls.

Sicher wird es ein Stützungsprogramm für die wichtigste deutsche Branche geben – aber einen Tunnelblick auf BMW, Daimler und Co. will man in der Hauptstadt vermeiden. Wie also soll ein Konjunkturpaket aussehen?

In der Regel hängt die Antwort davon ab, wen man fragt. Das galt lange Zeit auch für die große Koalition, die gern stritt. Das hat sich mit der Coronakrise geändert. Und mag die Einheitlichkeit der Bundesländer zuletzt auch Risse bekommen haben: In Berlin sind Union und SPD in ihren Positionen nur so weit auseinander, dass es zwar ein bisschen dauert, eine gemeinsame Linie zu finden, es aber weiterhin möglich ist.

Auch wenn Vertreter des CDU-Wirtschaftsflügels wie Carsten Linnemann grundsätzlich Skepsis gegenüber einer großen staatlichen Anschubaktion äußern – der Wille, endlich einen Neustart hinzulegen, eint alle. Mehr und mehr Normalisierung, so auch Linnemanns Hoffnung, bringe das Vertrauen der Verbraucher zurück – und damit dringend benötigte wirtschaftliche Dynamik.

Denn das ist die breit geteilte Analyse der aktuellen Situation: Weil die Fallzahlen zuletzt deutlich zurückgingen, wächst die Überzeugung, dass nach der ersten Phase, in der es vor allem darum ging, das Schlimmste zu vermeiden, nun die zweite Phase des Anfahrens starten kann. Die besteht zwar auch noch zu einem gehörigen Teil aus Stabilisierung wie jenen Milliarden, die wahrscheinlich an die Kommunen und besonders betroffene Branchen fließen werden – von der Gastronomie bis zu den Anbietern des öffentlichen Nahverkehrs. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass Phase zwei einen gehörigen Anteil zur Wiederbelebung erhält.

Dabei kommt es zunächst auf das richtige Timing an. „Wir müssen im Blick behalten, wann welche Impulse richtig gesetzt sind, um einen zusätzlichen Schub zu geben und nicht Nachholeffekte zu fördern“, sagt etwa der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Sören Bartol. Für ihn heißt das vor allem, Strohfeuer zu vermeiden und eine Zukunftsinvestitionsstrategie aufzubauen. Eine Strategie für die Zukunft wiederum bedeutet für die SPD vor allem: „Dekarbonisierung und Digitalisierung müssen im Mittelpunkt stehen.“ Das würde bedeuten, dass Kaufprämien, wie sie für die Autoindustrie diskutiert werden, eine CO2-Komponente brauchen.

von Benedikt Becker, Sven Böll, Sophie Crocoll, Max Haerder, Cordula Tutt

Das dürfte wohl Konsens werden. Von Baden-Württembergs CDU-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut gibt es jedenfalls Unterstützung: „Eine Innovationsprämie für Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge und für Fahrzeuge mit den modernsten Verbrennern ist nicht nur für die Automobilhersteller selbst von zentraler Bedeutung“, wirbt sie. Profitieren würden davon auch die Zulieferer.

Hinzu käme wohl noch einmal ein größerer Digitalisierungstopf, aus dem auch weitere Millionen an die Schulen fließen könnten. Und das hätte wahrscheinlich zur Folge, dass junge Firmen gezielt gefördert werden, etwa durch einen neuen Startup-Fonds.

Dass das Wiedereröffnen der Geschäfte, Restaurants und Hotels alleine schon reichen wird, um die gewünschte Belebung zu erreichen, glaubt schließlich auch im Bundeswirtschaftsministerium kaum jemand. Angesichts des mehrstufigen Plans, den Ressortchef Peter Altmaier (CDU) jüngst vorstellte, wird längst an den nächsten Phasen gebastelt: an weiteren konkreten Hilfen und Entlastungen. Mitte, Ende Mai, so heißt es aus dem Haus, werde man soweit sein. Immer getragen von der Hoffnung, dass wenige neue Coronafälle und ein zarter Optimismus in der Wirtschaft Hand in Hand gehen.

Sollten sich die Infektionszahlen weiterhin positiv entwickeln, ließen sich der Schaden für die Unternehmen und die Stabilisierungskosten für den Steuerzahler reduzieren. Es wäre also auch tatsächlich viel Geld für ein Konjunkturpaket da. Allerdings würde es wohl nicht so gigantisch, dass überall Probleme wie Mitnahmeeffekte drohen. In Berlin heißt es, eine Summe von 40 bis 60 Milliarden Euro sei wohl realistisch. Aber wie stets derzeit sollte man dazu sagen: Das ist der Stand von dieser Woche.

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