Universitätsdichte Eine Uni macht noch keine Zukunftsstadt

Je mehr Unis in einer Stadt, desto besser geht es der Gemeinde. Diesen Schluss legt die Arbeit britischer Forscher nahe. Allerdings ist nicht jede Uni ein Wachstums- und Innovationsbeschleuniger.

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Hochschulen können ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sein. Quelle: dpa

Um 1950 herum begann ein Boom, der bis heute andauert: Der Bildungsboom. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine höhere Bildung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eines Landes eine wichtige Rolle spielt. Die Zahl der Universitäten weltweit verdoppelte sich nahezu.

Mittlerweile wird der Bildungsboom - zumindest in Deutschland - eher kritisch gesehen: 58 Prozent der jungen Deutschen studieren, Handwerks- und Wirtschaftsverbände sehen in dieser Akademikerschwemme Probleme. Allerdings hat zumindest die Zahl der Universitäten einen großen Vorteil, wie Anna Valero und John Van Reenen von der London School of Economis herausgefunden haben. "Wir gehen davon aus, dass das nationale Einkommen in Großbritannien um 0,7 Prozent oder 11,3 Milliarden Pfund steigen würde, wenn jede der zehn Regionen Großbritanniens eine weitere Universität hätte", schreiben die beiden in einem Blog.

Hamburgs Hochschulen kosten 626 Millionen und bringen 1,3 Milliarden Euro

Demgegenüber stünden die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben für den Betrieb der zehn Hochschulen von rund 1,6 Milliarden Pfund. Ganz ähnliche Zahlen gibt es auch für deutsche Universitäten: So ist beispielsweise die Wertschöpfung von Hamburgs Hochschulen mehr als doppelt so hoch, wie die staatlichen Zuweisungen durch die Stadt. 2013 lag der Bruttowertschöpfungsindex der sechs staatlichen Hochschulen und der medizinischen Fakultät am UKE bei rund 1,3 Milliarden Euro, wie aus einer Studie von DIW Econ, dem Consulting-Unternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hervorgeht. Dem gegenüber standen Zuweisungen an die Hochschulen in Höhe von rund 626 Millionen Euro, heißt es in der von den Hochschulen beauftragten Studie. Laut den Berechnungen entspricht der Wertschöpfungseffekt der Hochschulen 1,4 Prozent des Hamburger Bruttoinlandsprodukts und einem Beschäftigungseffekt von fast 23.000 Erwerbstätigen. Universitäten bringen also mehr, als sie kosten.

Die beiden Wissenschaftler gehen davon aus, dass Universitäten nicht nur einen direkten Effekt auf die Umsätze der Kneipen in der näheren Umgebung haben, sondern deren Absolventen auch die Produktivität in den umliegenden Unternehmen steigern und dass Universitätsstädte innovationsfreundlicher beziehungsweise sogar innovativer sind und entsprechend andere Unternehmen, Start-ups und Talente anziehen.

Das zeigt auch das Beispiel Darmstadt. Die Stadt in Südhessen war 2015 Sieger im erstmals von WirtschaftsWoche, ImmobilienScout24 und IW Consult erstellten „Zukunftsindex 2030“. Das Ranking setzt sich aus 13 Einzelindikatoren zusammen und spiegelt wider, wie fit die Städte für die Wissensgesellschaft und das Zeitalter der Digitalisierung sind. „Der Zukunftsindex zeigt vor allem Städte, die im Bereich Forschung und Lehre exzellent ausgestattet sind und attraktive Arbeitgeber am Standort haben. Die besten Zukunftsaussichten haben Städte, die auf hohe Diversität setzen, anstatt auf eine monothematisch ausgerichtete Wirtschaftsstruktur“, sagt ImmobilienScout24-Finanzvorstand Christian Gisy.

In unserer Infografik finden Sie das Niveau- und Dynamikranking sowie die Stärken- und Schwächenprofile aller untersuchten Städte des gemeinsamen Rankings der WirtschaftsWoche und Immobilienscout24.

Und die von Valero und Van Reenen festgestellten Effekte einer Universität auf ihre Umgebung treffen auch auf Darmstadt zu: Seit 1997 darf sich die Gemeinde „Wissenschaftstadt“ nennen. Die Bevölkerung wächst, die Zahl der Erwerbstätigen nimmt seit mehr als 15 Jahren zu. In keiner anderen Großstadt ist der Anteil der Hochschulabsolventen in den so genannten MINT-Fächern so groß, High Potentials zieht es an die drei Fraunhofer-Institute und das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung. Bei der Breitbandversorgung und bei der Zahl der Opern- und Theaterbesuche ist die Stadt unter den Top Ten und auch die Unternehmen sind top.

Schaut man nach Berlin, ist das Bild ganz ähnlich: IT-Kräfte aus aller Welt zieht es die Hauptstadt, gleiches gilt für innovative Unternehmen wie Google. Berlin gehört zu den größten und vielfältigsten Wissenschaftsregionen in Europa. An vier Universitäten,

sieben Fachhochschulen, vier Kunsthochschulen, zwei konfessionellen und über 30 privaten Hochschulen lehren, forschen, arbeiten und studieren über 200.000 Menschen aus aller Welt. Nur der Wohlstandsfaktor scheint bei der Bundeshauptstadt nicht zuzutreffen: die Stadt steht mit rund 77 Milliarden Euro in der Kreide, hinzu kommen Bürgschaften in Höhe von 7,5 Milliarden.

Die Pro-Kopf-Verschuldung beträgt 22.300 Euro (Stand 2014) - damit wird Berlin in punkto Verschuldung nur noch von Hamburg und Bremen übertroffen, ebenfalls beides Universitätsstandorte. Dabei zeigen die Erkenntnisse der britischen Wissenschaftler doch, dass auch der Wohlstand einer Gemeinde mit der Zahl der Unis steigt. Das gilt allerdings nicht für jede Hochschule. Besondere Wachstumstreiber sind technische und besonders forschungsstarke Universitäten, künstlerische Hochschulen und private Business-Schools tragen weniger zum Wachstum bei.

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